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BILDMASCHINE
Gwendolin Kremer
»Elektrisches Gefühl«. Handlungsanweisung als Kunstwerk


Sebastian Hempel (*1971) hat dieses Jahr bereits mit zwei herausragenden interaktiven Raumarbeiten in Dresden auf sich aufmerksam gemacht: So war er im Sommer in der Gruppenshow »Strand der Dinge« in der geh8 und in der Ausstellung »Holy Things – Holy Places« im Kraftwerk Mitte vertreten.
Im November hat nun Hempels vierte Einzelausstellung mit dem Titel »Elektrisches Gefühl« bei seiner Dresdner Stammgalerie Baer auf der Louisenstraße eröffnet. Der an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden bei den Bildhauern auf der Pfotenhauer Straße und an der Slade School London ausgebildete Künstler zeigt im verlängerten Entrée kinetische Lichtobjekte, die kraft Be- und Entschleunigung sowie dem Einsatz von Leuchtmitteln losgelöste Einzelbilder generieren. Die komplexen technischen Apparaturen der Objekte spielen mit den physikalischen Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung, wobei Hempel hier Geschwindigkeit einsetzt, um ein verändertes Raumerlebnis sinnlich erfahrbar zu machen und tradierte Sehgewohnheiten in Frage zu stellen. Erheben die bewegten Licht-Objekte, konzipiert für eine Präsentation an der Wand, noch einen Anspruch auf Bildhaftigkeit, wird dieser von Hempel in dem zentralen Werk der überzeugenden Schau zugunsten einer raumgreifenden Installation aufgegeben. »Elektrisches Gefühl«, so auch der Werktitel, ist vorrangig als Fortführung der im Sommer gezeigten Arbeiten zu sehen, um zugleich vehementer als je zuvor die den Raum bestimmende Inbesitznahme voranzutreiben und im selben Schritt eine Allianz mit dem Betrachter der Arbeit zu schließen, indem dieser zur aktiven Teilhabe am Werk aufgefordert wird.
Hempels Interesse an der Manipulation räumlicher Wahrnehmungsprozesse findet in der sieben Meter breiten und rund 12 Meter langen aus Feinspanplatten konzipierten Fläche im hinteren Galerieraum ihre künstlerische Entsprechung – die einzelnen Plattenbahnen der über eine Schwelle betretbaren motorbetriebenen Installation sind in ständige Bewegung zueinander gesetzt. Das subtile Vor und Zurück scheint keinem bestimmten Rhythmus zu folgen, sodass sich der auf die Fläche wagende Besucher einem überraschenden Hin und Her ausgesetzt sieht. Dabei entsteht eine paradoxe, hier »elektrisch« hervorgerufene Empfindung eines latenten Ausgeliefertseins, das an bekannte Wahrnehmungsmodi anknüpft. Kennt doch ein jeder das irritierende Gefühl, in einem im Bahnhof stehenden Zug zu sitzen, der sich gleichsam in Bewegung zu setzen scheint, sobald der Zug auf dem Nachbargleis anfährt. Doch hier genügt meist ein prüfender Blick in den Bahnhof hinein, um sich seiner fixen Position zu vergewissern. Bei »Elektrisches Gefühl« ist das allerdings nicht so einfach, hat Hempel die bewegte Installation doch bis in den Gang nach Vorne um identische Platten verlängert, und auch die Wände des Galerieraums helfen nicht unbedingt weiter, da diese lediglich der Arbeit einen Rahmen geben, dem Auge aber keinen festen Halt. Die Installation ist folglich nicht im Galerieraum eingebaut, sondern ist Galerieraum. Schon bei der reinen Betrachtung erfolgt eine Teilhabe am Werk, doch erst durch die physische Interaktion kommt die von Hempel intendierte Partizipation des Besuchers als gleichsam schöpferischer ›Teilnehmer‹ zum Tragen. Sebastian Hempel steht mit diesem künstlerischen Ansatz in der Tradition der Minimal Art der 1970er Jahre, die als logische Konsequenz von Marcel Duchamps Kritik an der Repräsentation des klassischen Kunstwerks zu lesen ist (Peter Weibel). Dabei geht es Hempel stets um das Erzeugen einer subtil-spielerischen Störung unserer visuellen und räumlichen Wahrnehmung, die bewusst auf die Bereitschaft des Besuchers setzt, der dem Werk eingeschriebenen Handlungsanweisung zu folgen. Kommt man Hempels Aufforderung nach, gerät man für einen kurzen Moment aus dem Takt: Man begibt sich auf eine Reise, ohne den Bahnhof zu verlassen.
 
© Gwendolin Kremer
2011